"...
Also, was tue ich in meiner Freizeit? Sie werden staunen,
ich tue das, was mir vorschwebt seit meiner Geburt, nämlich
nichts. Das gelingt mir natürlich nicht immer, aber
ich übe und übe und bin auf dem Weg. ...
Wie sieht das Nichtstun denn aus, konkret, und wie kann
man sich darin üben? fragte ich Loos.
Nun, sagte er, üben heißt, hier wie überall:
etwas immer von neuem versuchen, bis es gelingt. Nehmen
Sie an, Sie liegen auf dem Sofa, am Samstagnachmittag,
und setzen sich das Lernziel, zwei Stunden lang liegen
zu bleiben, ruhig, aber ohne zu schlafen. Sie hören
wie eine Nachbarin staubsaugt oder jemand den Rasen mäht.
Statt jetzt an Dinge zu denken, die zu erledigen wären,
sollten Sie nur die Spinne betrachten, die reglos an der
Zimmerdecke sitzt, und dabei keinesfalls dem Wunsch nachgeben,
sie aus dem Weg zu räumen.
Jetzt läutet Ihr Telefon. Als Anfänger springen
Sie auf und greifen zum Hörer. Das wäre nur
dann bedenklich, wenn Sie aus Ihrem Versagen nichts lernten.
Gehen Sie in sich, üben Sie weiter, bis Sie die Freiheit
erlangen, auf Außenreize, die Sie zu einem Tun verleiten
wollen, nicht mehr zu reagieren.
Ich verstehe, sagte ich, aber wozu das alles, was ist
der Sinn der Übung?
Vielleicht, sagte Loos, erfahren Sie zwei Stunden lang,
wie es sich anfühlt, kein Sklave zu sein, wie friedlich
es in Ihnen wird, wenn Sie das Dauergefühl, etwas
zu müssen, für eine Weile verlieren."
Markus
Werner: Am Hang, S.100