exkurs
: cuba : wie viel havanna bin ich ?
durch die
straßen und plätze havannas streifend: abblätternde
fassaden, marode wände, ausgehöhlte ruinen. einst prachtvolle
paläste und bürgerhäuser liegen im sterben. leere
fensterhöhlen, abgebrochene balkone, verfallene innenhöfe,
müllberge am straßenrand. ich ertappe mich dabei, ein
bedauern zu spüren, wenn ich an einem der vorzeigehäuser
in habana vieja vorbeikomme, die so ganz anders aussehen:
renoviert, stabil, sauber.
ich liebe
den verfall. er ist authentisch. er zeigt das lebendige eines
prozesses von werden und vergehen. die risse in der fassade, die
zerbrochenen fensterscheiben, die morschen balken erinnern mich
daran, dass nur das vergehende leben kann, lebendig sein kann.
die glatten, frisch gestrichenen fassaden dagegen - egal ob neu
oder frisch saniert - versuchen genau das zu vertuschen, zu ignorieren.
sie leugen das unvermeidlich bevorstehende ende, schüren
kurzfristig die illusion von beständigkeit. dabei gibt es
in unserer auf veränderung basierenden welt einen einzigen
zustand von unveränderlichkeit und stabilität: den tod.
die menschen
in havanna lügen ebenso wie die bunten fassaden
- die lauten und lebendigen 16jährigen mädchen in ihren
knappen shorts ebenso wie die gelifteten und sorgfältig gestylten
älteren touristinnen. die einen lügen, weil sie es noch
nicht wissen, sich dieser grandiosen illusion noch unschuldig
hingeben dürfen. die anderen aus verzweiflung, aus trotziger
auflehnung gegen das unvermeidliche.
die meisten
besucher der stadt suchen und bewundern die bereits sanierten
straßen mit ihrer scheinbar alterslosen geschichte. ich
suche die zwischenwelten, die diese stadt für mich zugänglich
und attraktiv machen: die sichtbare geschichte dieser alten villen
und paläste, die manchmal spürbare dekadenz der 50er
jahre, der kampf der jetzigen bewohner um jeden rest von bausubstanz,
das auflehnen gegen das unvermeidliche ende, das tägliche
ringen um ein armes, kleines leben in diesen ruinen. der wahnsinn
eines dorflebens in einer engen millionenstadt, der wahnsinn vom
intensivem alltag im verfall.
so viel vorliebe
für den verfall - wie viel havanna bin ich selbst ?
so ne scheiß-frage !