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14. juni 2008

exkurs: salvo und andere freunde

bamberg

als ich neulich wieder einmal unterwegs einen der harmlosen krimis von andrea camilleri in die hand nahm, stellte ich erstaunt fest, wie nah und vertraut mir inzwischen sein protagonist, commissario salvo montalbano ist. aus früheren büchern kenne ich seinen alltag, seine gewohnheiten, seine laster und abneigungen. er war mir sehr vertraut. und so saß ich im flugzeug zwischen den welten und fühlte mich so, als würde ich mich mit einem guten alten freund nach langer zeit wieder einmal auf ein glas rotwein zusammensetzen.

"guter alter freund"? - hey, das ist ne romanfigur! "

schon schön, regelmäßig mit seinen freunden kontakt zu halten. mitzukriegen, wie es ihnen geht, mit welchen fragen sie sich beschäftigen, wohin (und ob) sie sich entwickeln. und: wie sich unsere beziehung verändert.

je länger ich auf der insel lebe, desto dünner werden die verbindungen zu den alten deutschen freunden, desto dichter die bindungen an die neuen freunde auf der insel. denn - so sehen das auch wissenschaftler - menschen können nur eine begrenzte zahl intensiver beziehungen pflegen. ob aus zeit- oder anderen gründen: allen kulturen gemeinsam ist, dass die meisten menschen 2-4 sehr nahe freunde an sich binden ("familie"), dann ca. 9 menschen etwas weniger nah ("clique"), schließlich ca. 27 menschen als bezugsgruppe ("clan") - die zahl 3 als beziehungs-formel.
so traurig das sein mag - ich kenne das: wir haben offenbar nur eine begrenzte zeit zur verfügung, begrenzte aufmerksamkeit - und müssen uns deshalb immer wieder für den einen und gegen einen anderen menschen entscheiden.

menschen mit ähnlichem hintergrund wie ich leben ohnehin schon eine komplexe beziehungsstruktur: die geforderte berufliche mobilität reißt familien, cliquen und clans auseinander. der eine bekommt einen neuen job in berlin, der andere in freiburg ... immer wieder müssen wir abschied nehmen, uns neu orientieren, unsere fragilen beziehungssysteme neu sortieren.
wenn jemand wie ich dann auch noch sein leben zwischen zwei welten aufteilt und viel reist, wird dieses modell weiter strapaziert: viele begegnungen - und immer wieder die schmerzhafte erkenntnis der begrenztheit meines beziehungslebens.

je komplexer dieses beziehungsleben wird, desto geringer wird die bedeutung realer nähe, desto wichtiger wird das netzwerk aus telefon und mail. wie praktisch, dass es nahezu egal ist, wo auf der welt sich der gegenüber gerade aufhält: er ist erreichbar.
ist er das wirklich? für mich bezweifle ich das zunehmend. wo auch immer ich bin: ich bin nie ganz da, wo ich physisch bin, nie wirklich zu 100% präsent, weil ein teil meiner aufmerksamkeit sich auf die verbindungslinien in die jeweils andere welt richtet.

wir leben in merkwürdigen zeiten ...

 


 

 
 
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