exkurs:
salvo und andere freunde
als ich neulich
wieder einmal unterwegs einen der harmlosen krimis von andrea
camilleri in die hand nahm, stellte ich erstaunt fest, wie
nah und vertraut mir inzwischen sein protagonist, commissario
salvo montalbano ist. aus früheren büchern kenne
ich seinen alltag, seine gewohnheiten, seine laster und abneigungen.
er war mir sehr vertraut. und so saß ich im flugzeug zwischen
den welten und fühlte mich so, als würde ich mich mit
einem guten alten freund nach langer zeit wieder einmal auf ein
glas rotwein zusammensetzen.
"guter
alter freund"? - hey, das ist ne romanfigur!
"
schon schön, regelmäßig mit seinen freunden kontakt
zu halten. mitzukriegen, wie es ihnen geht, mit welchen fragen
sie sich beschäftigen, wohin (und ob) sie sich entwickeln.
und: wie sich unsere beziehung verändert.
je länger
ich auf der insel lebe, desto dünner werden die verbindungen
zu den alten deutschen freunden, desto dichter die bindungen an
die neuen freunde auf der insel. denn - so sehen das auch wissenschaftler
- menschen können nur eine begrenzte zahl intensiver beziehungen
pflegen. ob aus zeit- oder anderen gründen: allen kulturen
gemeinsam ist, dass die meisten menschen 2-4 sehr nahe freunde
an sich binden ("familie"), dann ca. 9 menschen
etwas weniger nah ("clique"), schließlich
ca. 27 menschen als bezugsgruppe ("clan") -
die zahl 3 als beziehungs-formel.
so traurig das sein mag - ich kenne das: wir haben offenbar nur
eine begrenzte zeit zur verfügung, begrenzte aufmerksamkeit
- und müssen uns deshalb immer wieder für den einen
und gegen einen anderen menschen entscheiden.
menschen
mit ähnlichem hintergrund wie ich leben ohnehin schon eine
komplexe beziehungsstruktur: die geforderte berufliche mobilität
reißt familien, cliquen und clans
auseinander. der eine bekommt einen neuen job in berlin, der andere
in freiburg ... immer wieder müssen wir abschied nehmen,
uns neu orientieren, unsere fragilen beziehungssysteme neu sortieren.
wenn jemand wie ich dann auch noch sein leben zwischen zwei welten
aufteilt und viel reist, wird dieses modell weiter strapaziert:
viele begegnungen - und immer wieder die schmerzhafte erkenntnis
der begrenztheit meines beziehungslebens.
je komplexer
dieses beziehungsleben wird, desto geringer wird die bedeutung
realer nähe, desto wichtiger wird das netzwerk aus telefon
und mail. wie praktisch, dass es nahezu egal ist, wo auf der welt
sich der gegenüber gerade aufhält: er ist erreichbar.
ist er das wirklich? für mich bezweifle ich das zunehmend.
wo auch immer ich bin: ich bin nie ganz da, wo ich physisch bin,
nie wirklich zu 100% präsent, weil ein teil meiner aufmerksamkeit
sich auf die verbindungslinien in die jeweils andere welt richtet.
wir leben
in merkwürdigen zeiten ...