die patera
ruhige see
zwischen gomera und teneriffa. das diffuse morgenlicht
und die salzverkrusteten fenster des garajonay exprés
lassen nur langsam die kontraste zwischen meer und himmel erkennen.
verschlafene pendler dösen vor sich hin, einige touristen
lassen ihren zu ende gehenden urlaub revue passieren, die schulklasse
aus retamal freut sich lautstark auf den ausflug auf
die große nachbarinsel. ... plötzlich stoppen die motoren,
wir verlieren deutlich an fahrt. unruhe macht sich unter den passagieren
breit, auch bei mir: "jetzt bloß keinen motorschaden,
sonst verpasse ich noch meinen flieger!" die unruhe
wächst, als das boot langsam wieder fahrt aufnimmt und den
kurs ändert: wir fahren im kreis! warum? wohin?
unscharf hinter dem trüben fenster erscheint plötzlich
ganz nah ein kleines boot mit außenbordmotor. fischer? aber
warum sind auf dem kaum 12 m langen kahn dann 30 oder mehr menschen?
und warum stehen sie alle und sehen zu uns herüber? dann
höre ich den begriff: "patera!" und mir
wird klar: das sind keine fischer, sondern flüchtlinge.
vor vier
oder mehr tagen sind sie mit ihrer nusschale, der "patera",
weit im süden von der küste mauretaniens in
see gestochen, haben dabei mehrere hundert seemeilen hinter sich
gebracht. und damit auch - so ihre hoffnung - not, elend, bürgerkriege
in mali, nigeria oder dem senegal. nun, in der
dämmerung sehen sie endlich das ziel ihrer reise und ihrer
wünsche vor sich: teneriffa, die kanarischen
inseln, europa, das gelobte land.
rund 5.000
flüchtlinge sind in diesem jahr bereits auf den kanaren
gelandet, mehr als im ganzen letzten jahr. und das, obwohl ihre
bedingungen immer schwieriger werden:
zunächst hat spanien die exklaven melilla und ceuta
gegenüber von gibraltar praktisch abgeriegelt, so
dass der flüchtlingsstrom sich in den süden marokkos
- direkt gegenüber von lanzarote und fuerteventura
verlagerte. durch abkommen spaniens mit der marokkanischen
regierung wurde auch dieser weg abgeriegelt: hochmoderne patroillenboote
kontrollieren nun die küsten und lassen die erfolgschancen
der flüchtlinge auf null sinken.
nun also
mauretanien: viel weiter im süden, schwieriger gegen
die vorherrschende nordströmung. doch das scheint nicht wirklich
abzuschrecken: 12.000 flüchtlinge sollen an mauretaniens
küste schon jetzt auf ihre chance warten - auf schleuser,
die ihnen für 1.000 euro den weg ins wunderland europa
versprechen und sie in wackligen nussschalen aufs offene meer
schicken. mehr als 1.000 flüchtlinge, so schätzt das
rote kreuz, sind allein in diesem jahr bei ihrer reise
ertrunken oder verdurstet.
wie geht
es weiter? natürlich wird spanien für viel
geld ein weiteres abkommen mit mauretaniens regierung
schließen. doch solange die europäische union
keinen weg findet, die lebensbedingungen im nördlichen afrika
zu verbessern, wird der zuwanderungsdruck auf die festung
europa zunehmen.
und die flüchtlinge
vor mir? die garajonay exprés umkreist sie langsam.
einmal, zweimal, dreimal. als dann das schnellboot der marine
ankommt, fahren wir weiter. die flüchtlinge werden wohl in
den hafen geleitet, dort ärztlich untersucht und anschließend
in ein auffanglager gebracht. nach spätestens 40 tagen, so
die regelung, wird ein teil von ihnen als illegale in
spanien auf freien fuß gesetzt. sie sind ihrem
ziel nun sehr nahe. andere werden zurück geschickt nach marokko
oder mauretanien. was dort mit ihnen geschieht, ist nur
noch in der verantwortung der jeweiligen regierung, die für
jeden zurück geschickten ein kopfgeld erhält.
"nicht
mehr unser problem", denken viele canarios, spanier
und europäer ... und sind dankbar dafür, dass
das bild unscharf bleibt ... wir müssen ja unseren flug noch
erwischen !
siehe
auch: festung
europa