"Menschen sieht man nicht wie Häuser, Bäume
und Sterne. Man sieht sie in der Erwartung, Ihnen auf bestimmte
Weise begegnen
zu können und sie dadurch zu einem Stück des eigenen
Inneren zu machen. Die Einbildungskraft schneidet sie zurecht,
damit sie zu den eigenen Wünschen und Hoffnungen passen,
aber auch so, dass sich an ihnen die eigenen Ängste und
Vorurteile bestätigen können.
Wir gelangen nicht einmal sicher und unvoreingenommen zu
den äußeren Konturen eines Anderen. Unterwegs wird
der Blick abgelenkt und getrübt von all den Wünschen
und Phantasmen, die uns zu dem besonderen, unverwechselbaren
Menschen machen, der wir sind. Selbst die Außenwelt
einer Innenwelt ist noch ein Stück unserer Innenwelt,
ganz zu schweigen von den Gedanken, die wir uns über
die fremde Innenwelt machen und die so unsicher und ungefestigt
sind, dass sie mehr über uns selbst als über den
Anderen aussagen. ...
Ist sie ein Übel, diese Fremdheit und Ferne? Müsste
uns ein Maler mit ausgestreckten Armen darstellen, verzweifelt
in dem vergeblichen Versuch, die Anderen zu erreichen? Oder
sollte uns sein Bild in einer Haltung zeigen, in der Erleichterung
darüber zum Ausdruck kommt, dass es diese doppelte Barriere
gibt, die auch ein Schutzwall ist? Sollten wir für den
Schutz dankbar sein, den uns die Fremdheit voreinander gewährt?
Und für die Freiheit, die sie möglich macht?
Wie wäre es, wenn wir uns ungeschützt durch die
doppelte Brechung, die der gedeutete Körper darstellt,
gegenüber stünden? Wenn wir, weil nichts Trennendes
und Verfälschendes zwischen uns stünde, gleichsam
ineinander stürzten?"