"Von tausend Erfahrungen, die wir machen,
bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese
bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente.
Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen,
die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und
seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen
der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie
verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert
sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am
Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier.
Lange Zeit habe ich geglaubt, das sei ein Mangel, etwas, das
es zu überwinden gelte. Heute denke ich, dass es sich anders
verhält: dass die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg
zum Verständnis dieser vertrauten und doch rätselhaften
Erfahrungen ist. Das klingt sonderbar, ja eigentlich absonderlich,
ich weiß. Aber seit ich die Sache so sehe, habe ich das
Gefühl, das erste mal richtig wach und am Leben zu sein."
pascal mercier: nachtzug nach lissabon, s. 28