aktuell people fotos links contact
 
     
 
12. november 2003


personenschaden

mit der bahn unterwegs in deutschland. ja, ich liebe es: der blick auf landschaften, die leere zwischen abfahren und ankommen, extra time zum lesen oder musik hören. oder einfach nur den gedanken beim spielen zusehen. abends: irgendwo da draußen im dunkeln ist vielleicht tatsächlich etwas, hinter diesen vorbeihuschenden fenstern leben vielleicht menschen. ich erfinde geschichten, träume.

was ich nicht mag: warten in diesen gesichtslosen bahnhöfen mit ihren standard-shops; yorma's, segafredo, le cro bag. überall gleich, anonym, standardisiert, funktional. und vor allem eines: sauber.
nur 5 minuten verspätung verspricht die anzeige zunächst. sie ändert sich bald auf 10, 15, 30, dann 60 minuten. "über 60 minuten" ist das maximum auf der anzeigetafel der bahn. mehr gibt sie einfach nicht her, mehr abweichung der realität vom plan lässt das selbstverständnis dieses überaus deutschen unternehmens nicht zu ... "doublespeak" nennt george orwell das.

ich warte also. ich bin müde. ich weiß, dass ich erst weit nach mitternacht ankommen werde. mir ist kalt.
 
   

meine suche nach orientierung führt mich zu der schicken dame am neudeutschen servicepoint: ein verschwörerischer blick, die stimme gesenkt: "der hat was mitgenommen - sie wissen schon: personenschaden!"
routiniert drückt sie mir einen kaffee-gutschein in die hand.

personenschaden - welch ein sauber-neutraler begriff für eine solche katastrophe. ich werde dieses bild nicht los: irgendwo da draußen in der nacht steht dieser mensch an der bahnstrecke im malerischen tal und wartet auf den ICE. seine gedanken laufen amok. da ist kein denken mehr, da ist nur noch ein sinnloses, schmerzhaftes rattern von impulse, fetzen, schmerzen. vielleicht wartet er seit 10 minuten, vielleicht schon eine stunde. er wartet auf seinen tod. nicht irgendeinen, sondern einen schrecklichen, aggressiven. sein verzweifelter zerbrechlicher körper gegen 200 tonnen gefühllosen stahl, der mit 200 stundenkilometern durch die nacht donnert.

er wartet. noch ist der zug weit weg, zu weit, um ihn zu hören oder gar zu sehen. aber der mann kennt die strecke - schon oft hat er diesen weißen pfeil beobachtet, wie er durch das tal pflügt. er kennt den fahrplan, weiß, dass es nicht mehr lange dauern kann.
sicher waren da schon augenblicke von zweifel, von kopfschütteln über sein vorhaben. vielleicht hat er sich schon einige male auf den rückweg gemacht - und ist dann doch zurück gekehrt zu der stelle neben der schiene, die er sich für seine letzten minuten in diesem leben ausgesucht hat.
 
und endlich hört er in der ferne dieses vertraute geräusch, sieht die starken scheinwerfer durch die bäume...

.
.
.

eine katastrophe, eine unglaubliche konsequenz - welcher druck, welches leid mag diesen menschen wohl zu diesem dramatischen letzten schritt bewogen haben? oder war es vielleicht gar keine kurzschluss-reaktion, sondern ein wohl durchdachter und nachvollziehbarer schritt?
eines aber ist sicher:
diese entscheidung war das beste, was diesem menschen in diesem augenblick möglich war.



 

 
 
home
aktuell
archiv

suche (Google)

people / events
johannes

fotos
videos
webcams
slide-shows
panorama-galerie
best of ...
 

gomera-links
news
wetter
karten
webcams
natur
websites

versión española  english version  deutsche version
 

© Johannes Friedrich Reichert 2000 - 2017

Datenschutz
 
mygomera ist eine private website von johannes friedrich reichert - fotos, webcam, stories, videos und links zu la gomera.
individuelle touristische anfragen richten sie bitte nicht an mich, sondern an ein forum oder ein reisebüro - vielen dank dafür.