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24. oktober 2001


völlig normal

völlig normal 1

deutsche zeitungen zu lesen und dann durch deutsche innenstädte zu laufen : während die medien mit krieg, angst und milzbrand die großen angsttrommeln einsetzen um auflagen und quoten zu sichern, spielen ihre adressaten locker-gelassen die kleine alltagsflöte.
ich verstehe das nicht: hat sich die weltlage in den letzten wochen so geändert, dass für angst kein grund mehr besteht? wohl nicht. oder misstrauen die bürger ihren medien so sehr, dass sie sie einfach nicht mehr ernst nehmen? könnte sein.

ich vermute jedoch, dass die normalität sich ihren raum genommen hat. kaum jemand ist in der lage, tage-, wochen- oder monatelang im permanenten ausnahmezustand zu leben. wenn eine - anfangs völlig außergewöhnlich empfundene - situation nur lange genug anhält, wird sie wohl irgendwann ignoriert oder einfach in den begriff der eigenen normalität integriert. normal - das ist dann eben "stau, ärger, schulden, karstadt - und krieg". vielleicht macht gerade das seelische gesundheit aus: die fähigkeit, ausnahmezustände zu integrieren und als normal zu betrachten.

völlig normal 2

ich komme nach zwei wochen deutschland auf die insel zurück und stelle fest, wie normal sich das leben hier anfühlt. anders als vor einem jahr, als ich hier ankam, nehme ich nicht mehr die schönheit der insel wahr - ich sehe nur das, was anders ist als vor zwei wochen. fast beneide ich schon die touristen, denen der genuss dieser insel nur zwei kurze wochen vergönnt ist und die deshalb mit offenen sinnen, sensibilisiert bis in die haarspitzen durch die gegend laufen. sie nehmen es wohl noch wahr, dieses unendlich weite meer, diese energiegeladenen vulkanberge, die kraft der wellen, das unbeschreibliche abendlicht. für sie ist es alles andere als normal. für sie ist es außergewöhnlich und deshalb nehmen sie es wahr. für mich ist es tagtäglich und deshalb nehme ich es nicht mehr wahr - es ist eben normal. schade.

völlig normal 3

von lars gustafsson stammt eine kurze geschichte über die normalität. darin geht eine künstlerin einen pakt mit dem teufel ein. ihr wunsch: nur einen tag ein anderer sein. denn, so glaubt sie, nur einen tag die normale wahrnehmung eines anderen menschen 'von innen' zu erleben, würde ihr wissen um die welt und ihr verstehen dessen, was geschieht, explosionsartig erweitern.

völlig normal 4

ich fliege über nordafrika, sehe marokkanische städte, dörfer, einsame siedlungen unter mir. dort wohnen menschen, für die meine normalität völlig unverständlich ist.

blick auf marokko blick auf marokko blick auf marokko blick auf marokko blick auf marokko


was würde geschehen, wenn nichts normal wäre?
wenn wir jede situation ohne den filter des gewohnten wahrnehmen könnten.
würden wir innerhalb eines tages erleuchtet oder würden wir durchdrehen?

ich vermute beides.

 

 

 
 
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